Mediation ist ein strukturierter Lösungsfindungsprozess, der in den letzten Jahren weite Bekanntheit erlangt hat. Das moderne Mediationsverfahren kommt aus den USA und ist dort in sämtlichen Rechtsbereichen stark verbreitet. Mittlerweile ist die Mediation auch in Europa und insbesondere in der Schweiz ein anerkanntes Verfahren zur Konfliktlösung. Doch was ist eigentlich eine Mediation bzw. was ist sie nicht? Der Beitrag in der Anwaltsrevue 11-12/2020, S. 454 ff., befasst sich mit 10 häufigen Missverständnissen im Zusammenhang mit der Mediation. Es brodelt in der Gerüchteküche – ein Bericht aus der Praxis.
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«Gerüchteküche» um die Mediation
Jennifer Dürst und Julia Jung
Jennifer Dürst, Rechtsanwältin, Mediatorin SAV, STAIGER Rechtsanwälte AG, Zürich
Rechtsanwältin & Mediatorin im Familien-, Erb- und Wirtschaftsrecht
Julia Jung, Rechtsanwältin, LL.M., Mediatorin SAV, Jung Legal Solutions, Zürich
Unabhängige Wirtschaftsmediatorin und Schiedsrichterin
Stichworte: Mediation, Alternative Dispute Resolution (ADR), Conflict Management, Conflict Prevention
Mediation ist ein strukturierter Lösungsfindungsprozess, der in den letzten Jahren weite Bekanntheit erlangt hat. Das moderne Mediationsverfahren kommt aus den USA und ist dort in sämtlichen Rechtsbereichen stark verbreitet. Mittlerweile ist die Mediation auch in Europa und insbesondere in der Schweiz ein anerkanntes Verfahren zur Konfliktlösung[1]. Doch was ist eigentlich eine Mediation bzw. was ist sie nicht? Der vorliegende Beitrag befasst sich mit 10 häufigen Missverständnissen im Zusammenhang mit der Mediation. Es brodelt in der Gerüchteküche – ein Bericht aus der Praxis.
I. Warum gibt es Konflikte?
Konflikte sind Alltag und treten immer wieder auf, sei dies zwischen und in Unternehmen, in der Familie oder in der Politik. Grund für die Konfliktentstehung sind unterschiedliche Sachverhaltswahrnehmungen und misslungene Kommunikation. Entspricht die Rückmeldung des Empfängers nicht der Absicht und den Erwartungen desjenigen, der eine Botschaft mitteilt (Sender), können Konfliktsituationen entstehen[2]. Die Kommunikation im Rahmen von Konfliktsituationen kann zusätzlich durch Vorurteile, Misstrauen, eigene Einbildungen und Täuschungen beeinträchtigt werden. Dies kann zur Folge haben, dass sich die Konfliktpartner missverstehen. Ein Konflikt eskaliert, wenn sich die Beteiligten nicht mehr zuhören sowie das Vertrauen und den Respekt verlieren[3].
Menschen, die miteinander kommunizieren, fungieren als Sender und Empfänger. Der Sender möchte etwas mitteilen, während der Empfänger die Botschaft empfängt. Erfahrungsgemäss empfängt der Empfänger lediglich 30 % (!) des ausgesandten Inhalts[4]. Nur was wir selbst erlebt und gesehen haben, empfinden wir als wahr[5]. Folglich sind Konflikte vorprogrammiert.
Empfindet beispielsweise der Betrachter A das Glas als halb voll, beurteilt der Betrachter B das Glas als halb leer. Die Frage «Hat es noch Wasser?» kann, abhängig davon, wie sie gemeint ist, verschiedene Botschaften enthalten: Entweder i) eine harmlose Frage nach dem Wasservorrat oder ii) ein Appell, Wasser zu kaufen oder iii) die Äusserung des eigenen Wunsches nach mehr Wasser oder iv) die Botschaft darüber, dass das Gegenüber nicht gastfreundlich ist[6].
Verhindern kann man Konflikte nicht, mithilfe der Mediation kann man die Kommunikation aber verbessern und dadurch Konflikte in einen konstruktiven Diskurs umwandeln.
II. Gerüchte um die Mediation
1. Wir brauchen keinen Mediator, wir können selbst miteinander reden
Selbstverständlich können Konfliktparteien auch ohne einen Mediator[7] miteinander reden und im besten Fall sogar effizient verhandeln. Scheitert eine direkte Verhandlung jedoch oder befindet sie sich auf dem Weg dorthin, sollte eine Mediation in Betracht gezogen werden. Das «Reden miteinander» ist dabei die optimale Ausgangslage – jedoch keine Voraussetzung – für die Durchführung eines Mediationsverfahrens.
Die Mediation schafft insofern einen Mehrwert als sie einen formellen und geschützten Rahmen ausserhalb des gewohnten Umfelds bietet, wo Konflikte üblicherweise ausgetragen werden, z.B. zwischen Geschäftspartnern, in der Unternehmung oder zu Hause. Die Mediation wirkt entschleunigend und dadurch deeskalierend. Es gelingt, den Verhandlungsvorgang zwischen den Parteien im Vergleich zur direkten Verhandlung noch einmal zu optimieren[8].
Der Mediator fungiert dabei als Leiter des Verfahrens. Er unterstützt die Parteien darin, den positionsbehafteten, bisweilen emotional geführten Schlagabtausch durch einen interessenbasierten, lösungsorientierten Dialog zu ersetzen. Anstelle des schnellen, intuitiven Denkens, kommt nun das langsame, sachliche, rationale Denken zum Zug[9]. Dies führt schliesslich dazu, dass allfällige Blockaden überwunden und konstruktive Verhandlungen wieder möglich werden. Der Mediator stellt sicher, dass das gesamte Verhandlungspotential ausgelotet wird.
In der Wirtschaftsmediation genügen in der Regel ein bis zwei Tage bzw. im innerbetrieblichen und familienrechtlichen Bereich reichen oft wenige Sitzungen (à je 2-4 Stunden), um grossartige Erfolge zu erzielen.
2. Die Partei, die eine Mediation vorschlägt, zeigt Schwäche
Mediationen sind mit dem Vorurteil behaftet, dass nur verhandlungsschwache Parteien und solche, die «keinen Biss haben», ein Gerichtsverfahren zu führen, ein Mediationsverfahren vorschlagen.
In unserer Gesellschaft greift es wohl zu kurz, wenn ständig nur der absolute Sieg gesucht wird. Das Wirtschaftsleben ist geprägt von stetigem Verhandeln. Wie oft bekommt man nicht das, was man meint verdient zu haben, sondern das, was miteinander ausgehandelt wird[10]? Neben einem Schwarz-Weiss-Denken sollten die Graubereiche nicht vergessen werden, die in verschiedenen Situationen den Weg zum Ziel darstellen.
Mediation ist kein Fertiggericht, hier muss selbst gekocht, angerichtet und präsentiert werden. Das erfordert Fingerspitzengefühl, Kreativität, Durchhaltevermögen, Belastbarkeit und souveränes Verhandeln – also wirklich nichts für schwache Parteien[11].
3. Mediation ist gleich «Meditation»
Die sprachliche Nähe der «Mediation» zur «Meditation» erweckt schnell den Eindruck einer spirituellen Praxis. Die Realität hat mit diesem Image aber nichts gemein: Der Begriff Mediation geht auf das englische Verb «to mediate» (vermitteln, aushandeln) zurück, das wiederum seine Wurzel im lateinischen «mediare» (in der Mitte sein) hat. Der Mediator vermittelt und strukturiert die Verhandlung[12].
Im Mediationsverfahren ist – im Gegensatz zum Gerichtsverfahren – nicht die Wahrheitsfindung zentral («Wie war es wirklich?»). Es geht vielmehr darum, zu akzeptieren, dass verschiedene Wahrnehmungen einer bestimmten Situation existieren, und zu ergründen, wieso eine Partei eine bestimmte Wahrnehmung hat respektive einen bestimmten Standpunkt vertritt. Bedürfnisse, Interessen, Wünsche und Neigungen der Streitparteien sind zentral in der Mediation und werden durch den Mediator mit gezielter Fragetechnik herausgeschält[13]. Anders in einem Urteil, das aufgrund von prozessualen Vorgaben schliesslich die eine oder die andere Wahrheit nach rechtlichen Massgaben beurteilt, ohne andere Kriterien zu berücksichtigen.
Das von Sigmund Freud entwickelte Bild des Eisbergs, dessen Spitze die Positionen und dessen unsichtbare Eisschicht unterhalb des Meeresspiegels die Interessen darstellen, ist hilfreich (Abbildung 1). Die grossflächigere Ebene der Interessen bietet im Bereich der gemeinsamen Interessen Überlappungspotential und ist dazu geeignet, nach Lösungs-Schnittmengen zu suchen, die für beide Seiten – trotz unterschiedlicher Wahrnehmung einer spezifischen Situation – akzeptabel sind.
Abbildung 1: Darstellung von Positionen und Interessen gemäss Sigmund Freud
Dieses Konzept der Mediation basiert auf Erkenntnissen der Verhandlungsforschung und hat nichts mit einer spirituellen Praxis zu tun.
Fakt ist, es handelt sich bei der Mediation um einen vom streitbetroffenen materiellen Recht unabhängigen Prozess. Er kann je nach Ausgangslage angepasst werden: Während in Familienmediationen die persönliche Gefühlswelt der Streitparteien in der Regel aufgearbeitet werden muss, können Wirtschaftsmediationen stärker sachverhaltsbezogen und rechtlich ausgerichtet sein[14]. Unsere Erfahrungen mit Mediationen in der Schweiz und in den USA zeigen, dass die Mediation in vielen Konfliktsituationen aus sämtlichen Rechtsbereichen erfolgreich eingesetzt werden kann.
4. Anwälte gehören nicht in die Mediation
Es stimmt nicht, dass Anwälte keinen Platz in der Mediation haben. Insbesondere in der Wirtschaftsmediation ist es üblich und in der Regel empfehlenswert, dass sich die Parteien von einem Rechtsbeistand begleiten lassen. Der Anwalt hat dabei in erster Linie die Funktion eines Beraters mit Bezug auf die rechtlichen Aspekte des Konfliktthemas, da der Mediator die Parteien in rechtlicher Hinsicht nicht berät. Zudem sind Anwälte Stützen sowohl in strategischer als auch in verhandlungstaktischer Hinsicht und helfen ihrer Partei dabei, sich sachlich und verständlich auszudrücken[15]. Auch in Familien- und Erbrechtsmediationen besteht eine Tendenz, dass sich die Parteien vermehrt von einem Anwalt unterstützen lassen, der entweder im Hintergrund tätig ist («unsichtbarer Anwalt») oder aktiv am Mediationsverfahren teilnimmt («sichtbarer Anwalt»). Generell sollten Anwälte die Instrumentarien der Mediation kennen, um ihre Mandanten in einem Mediationsverfahren optimal unterstützen zu können[16].
In der Wirtschaftsmediation finden in der Regel Vorgespräche mit den Anwälten statt. Dabei werden die folgenden Eckpunkte der Mediation abgesteckt: Es wird definiert, i) wer die essentiellen Mediationsteilnehmer sind. Zudem werden ii) der Zeitrahmen, iii) der Sitzungsort und iv) die Kosten(übernahme) festgelegt. Ferner werden v) die Mediationsvereinbarung zwischen dem Mediator und den Parteien sowie vi) die Erwartungshaltung an die Mediation bzw. vii) deren Ablauf besprochen. Schliesslich wird diskutiert, ob viii) die Anwälte vor der Durchführung der Mediation den Sachverhalt und die relevanten Rechtsfragen bereits mündlich oder in Form von Positionspapieren vorbringen wollen.
Kurze, in der Regel auf rund zehn Seiten beschränkte Positionspapiere verschaffen dem Mediator einen Überblick über den relevanten Sachverhalt, die wesentlichen Unterlagen und die rechtlichen Standpunkte der Parteien. Es muss festgelegt werden, ob die Positionspapiere unter den Medianden ausgetauscht oder ob sie vertraulich abgefasst und ausschliesslich dem Mediator zugestellt werden. Vertrauliche Positionspapiere können auch bereits Ausführungen zu den eigenen Interessen, den vermuteten Interessen der Gegenseite, möglichen Spielräumen für ein Entgegenkommen sowie zur eigenen BATNA («Best Alternative to a Negotiated Agreement») bzw. WATNA («Worst Alternative To a Negotiated Agreement») enthalten. So oder anders dienen die Positionspapiere dazu, dass sowohl die Parteivertreter als auch der Mediator auf die Mediation vorbereitet sind, wodurch am Tag der Mediation Zeit gespart wird.
In Familien- und Erbrechtsmediationen werden die Konfliktthemen und Standpunkte der Parteien üblicherweise im Rahmen der Mediationssitzungen präsentiert, ohne Positionspapiere zu erstellen. Ein vorgängiges Zusammenstellen der wesentlichen Unterlagen ist aber oftmals sinnvoll.
5. Eine Mediation mit hochstrittigen Parteien ist nicht möglich
Werden Parteien als «hochstrittig» qualifiziert, so besteht ein hoher Grad an Wut, Misstrauen und Kommunikationsschwierigkeiten sowie schwere Anschuldigungen[17]. Auch eine Lösungsfindung mit hochstrittigen Parteien ist möglich. Der Mediator ist dabei allerdings stärker gefordert. So sollte er seine Führungsrolle aktiver und ausgeprägter wahrnehmen, ganz speziell auf seine Mimik, Gestik, Haltung und Wortwahl achten, den Sachverhalt detaillierter strukturieren, den Prozess stärker entschleunigen sowie den Parteien noch bewusster zuhören[18].
6. Mediation ist reine Zeitverschwendung
Mediationsverfahren sind – in der Regel – kurze und ressourcenschonende Verfahren. Sie dauern im Durchschnitt rund 2 bis 6 Monate[19]. Die Erfolgsquote von Mediationen mit einem statistischen Wert von 70% oder mehr ist gross[20].
Mediationsverfahren lassen abschliessende Gesamtlösungen zu, unabhängig davon, ob diese justiziabel sind oder nicht. Zudem verhindern Mediationsverfahren in der Regel das Wiederaufflammen der Konflikte. Insbesondere im familiär-emotionalen Bereich treten die in einem Gerichtsverfahren – aus prozessualen Gründen – nicht behandelten Konfliktthemen nach Abschluss des Gerichtsverfahrens oft wieder auf, was zu weiteren Verfahren und/oder Mediationen führen kann.
Für den Fall, dass eine Mediation nicht mit einem vollständigen Vergleich endet, trägt sie in der Regel zu einer Straffung des künftigen Gerichtsprozesses bei. Dies, weil gewisse Teilaspekte allenfalls bereits in der Mediation erledigt wurden bzw. sämtliche Mediationsteilnehmer nach Durchführung eines Mediationsverfahrens wissen, welches die effektiv relevanten Streitpunkte und welches ihre eigenen Schwachpunkte sind.
7. Bei der Mediation handelt es sich um ein Streitbeilegungsverfahren
Richtig, die Mediation ist ein alternatives Streitbeilegungsverfahren; aber nicht nur. Um die Jahrtausendwende wurde in den USA das Konzept der sogenannten «Deal Mediation» entwickelt. Dabei ziehen Parteien, die in komplexen und vielschichtigen Vertragsverhandlungen stecken, einen neutralen Dritten bei, der sie beim Verhandeln unterstützt, ohne dass ein eigentlicher Konflikt vorliegt[21].
8. In Mediationen gibt es keine ex parte Kommunikation
Die Wahrung der Eigenverantwortlichkeit der Parteien ist zentral in der Mediation. Dies beginnt bereits bei der Festlegung der massgeblichen Verfahrensregeln durch die Parteien, wozu auch die Regelung möglicher ex parte Kommunikation zählt. Dabei kann es zu verschiedenartig ausgeprägten Mediationsverfahren kommen.
Im Regelfall finden Mediationen in den Räumlichkeiten des Mediators oder – bei Wirtschaftsmediationen – auch in externen Konferenzzimmern statt. Persönlich anwesend sind in der Regel der Mediator und sämtliche Parteien sowie ihre Rechtsvertreter (falls vorhanden). Auch Videomediationen sind möglich. Ob physisch oder online, den Parteien sollten sog. «Breakout-Rooms» zur Verfügung gestellt werden, um sich mit der Rechtsvertretung austauschen und in den Mediationspausen zurückziehen zu können. Mit Einverständnis der Medianden können zwischen den gemeinsamen Mediationssitzungen auch Einzelgespräche zwischen dem Mediator und den Parteien eingebaut werden.
Eine alternative Form der Mediation ist die sog. «Shuttle Mediation», welche vom Prinzip der direkten Kommunikation abweicht. Die Mediation erfolgt in dieser Form gestaffelt, indem der Mediator stets von der einen Partei zur anderen Partei pendelt. Dadurch können direkte Konfrontationen gänzlich verhindert werden. Der Mediator kontrolliert die Kommunikation zwischen den Parteien. Er achtet darauf, dass er jedes Mal, wenn er von der einen zur anderen Partei pendelt, eine Offerte mitnehmen kann. Diese Art der Mediation eignet sich unter anderem dann, wenn es darum geht, eine Verhandlung über limitierte Ressourcen zu führen (z.B. bei klassischen Forderungsstreitigkeiten) oder wenn im familiär-emotionalen Bereich die direkte Konfrontation zwischen den Parteien eingeschränkt werden soll[22].
Nicht nur mit Bezug auf das Ergebnis einer Mediation, sondern auch mit Bezug auf die Verfahrensgestaltung stehen den Medianden unzählige Möglichkeiten zur Verfügung. In Shuttle Mediationen wird die direkte Kommunikation zwischen den Parteien gänzlich durch ex parte Kommunikation ersetzt.
9. Der Mediator unterbreitet einen Lösungsvorschlag
Das Unterbreiten von Lösungsvorschlägen durch den Mediator ist umstritten. Es hängt vom persönlichen Mediationsstil des Mediators bzw. dem Wunsch der Parteien ab, ob der Mediator einen konkreten Lösungsvorschlag unterbreitet bzw. unterbreiten soll.
Im klassischen Grundmodell der Mediation, der sogenannten «facilitative mediation» beschränkt sich der Mediator darauf, das Verfahren zu strukturieren und die Parteien beim kooperativen Verhandeln zu unterstützen[23]. Der Lösungshorizont soll erweitert werden, ohne dabei konkrete Vorschläge einzubringen[24]. Es sind die Parteien selbst, die ihre Lösung erarbeiten, wobei der Mediator weder Empfehlungen abgibt noch Lösungsvorschläge unterbreitet. Dies, weil die Gefahr besteht, dass sich die Parteien ansonsten auf die vom Mediator unterbreiteten Lösungsvorschläge fixieren und von der eigenen kreativen Lösungsfindung abkommen würden. Beweggrund für diesen Mediationsstil ist die Überzeugung, dass die Konfliktparteien ihren Konflikt und die sonstigen Rahmenbedingungen selbst am besten kennen[25].
In dieser, hierzulande wohl am häufigsten praktizierten Ausprägung, unterscheidet sich die Mediation wesentlich von Schlichtungs-, gerichtlichen Instruktions- oder Vergleichsverhandlungen, in welchen der Friedensrichter bzw. das Gericht den Parteien in der Regel eine provisorische Einschätzung und/oder einen Lösungsvorschlag unterbreitet.
Insbesondere in den USA sind jedoch auch viele ehemalige Richter (sog. «retired judges») als Mediatoren tätig. Parteien, die beispielsweise kurz vor einem Gerichtsprozess stehen, wählen solche Mediatoren aufgrund ihres evaluativen Mediationsstils. Es ist in dieser Art von Mediation geradezu die Aufgabe des Mediators, Stellung zu den relevanten Rechtsfragen bzw. Prozessrisiken zu nehmen. In den USA gilt es als die hohe Kunst des Mediierens, wenn ein Mediator seinen Mediationsstil nach den Bedürfnissen der Parteien anpassen kann.
Das Gerücht, wonach Mediatoren einen Lösungsvorschlag unterbreiten, stimmt im Mediationsumfeld Schweiz somit wohl eher nicht. Ausgeschlossen ist das Unterbreiten eines Lösungsvorschlags jedoch nicht.
10. Das «Recht» gehört nicht in die Mediation
Kontrovers diskutiert wird die Frage nach der Rolle des Rechts in der Mediation. Das Recht hat dabei zumindest eine Art «Leitplankenfunktion», indem es den Vereinbarungsmöglichkeiten der Parteien Grenzen setzt, als Lösungsoption und Orientierungshilfe dienen kann. Auch bietet es eine verlässliche Alternative für den Fall, dass eine Mediation abgebrochen wird[26]. In der Wirtschaftsmediation muss das erreichte Ergebnis sodann regelmässig von den Mediationsteilnehmern gegenüber einem weiten Kreis von Stakeholdern gerechtfertigt werden. Angesichts dieses objektiven Rechtfertigungsdrucks ist klar, dass die Rechtslage und das Prozessrisiko, das durch den Vergleich vermieden werden konnte, eine grosse Rolle spielen[27].
Unseres Erachtens kann das Recht in einem Mediationsverfahren nicht ausgeschaltet werden. Im Gegenteil: Das Recht ist Teil der Mediation. Der Mediator soll allerdings verhindern, dass das Recht die Kontrolle im Verfahren übernimmt und als Druckmittel verwendet wird. Der Mediator soll dabei stets darauf achten, dass die Parteien nach ihren Wünschen und Bedürfnissen verhandeln und nicht «nur» nach dem, was ihnen rechtlich «zusteht»[28].
Es ist Sache der Rechtsvertreter der Parteien, die rechtlichen Aspekte in die Mediation einzubringen. Im Familien- und Erbrechtsbereich kann es – je nach Komplexität der Konfliktthemen – ebenfalls hilfreich sein, wenn sich die Parteien rechtlich begleiten lassen.
Nach unserer Ansicht muss der Mediator selbst nicht Experte im streitbetroffenen Rechtsgebiet sein, da er die Parteien nicht in Rechtsfragen berät und grundsätzlich auch keine Lösungsvorschläge unterbreitet. Viel wichtiger ist, dass er ein ausgebildeter Mediator ist. Allerdings muss der Mediator auf dem rechtlichen Niveau der Parteianwälte mitdiskutieren können, um die Mediation professionell leiten zu können. Genau so muss er in Wirtschaftsmediationen aber auch die «Sprache» der Parteien selbst sprechen.
III. Fazit
Eine Auswertung der 10 häufigsten Gerüchte um die Mediation ergibt das folgende Ergebnis:
1) Wir brauchen keinen Mediator, wir können selbst miteinander reden
Spätestens wenn das Verhandlungspotential ausgeschöpft zu sein scheint und die direkte Verhandlung zu scheitern droht, ist ein Mediationsverfahren sinnvoll, denn es kann ganz neue Verhandlungsgrundlagen und -spielräume eröffnen.
2) Die Partei, die eine Mediation vorschlägt, zeigt Schwäche
Falsch, Mediationsverfahren sind nichts für schwache Parteien.
3) Mediation ist gleich «Meditation»
Die Begriffe haben nichts miteinander zu tun und eine Mediation eignet sich auch in einem wirtschaftlichen Kontext.
4) Anwälte gehören nicht in die Mediation
Doch, Anwälte braucht es in der Mediation.
5) Eine Mediation mit hochstrittigen Parteien ist nicht möglich
Im Gegenteil: Mediierbar sind auch hochstrittige Parteien.
6) Mediation ist reine Zeitverschwendung
Statistisch betrachtet ist das Risiko, dass eine Mediation ohne Einigung endet – und damit zur Zeitverschwendung mutiert – gering (Erfolgsquote von rund 70 %). Sodann ist die Zeitinvestition in ein Mediationsverfahren auch im Nichteinigungsfall sinnvoll.
7) Bei der Mediation handelt es sich um ein Streitbeilegungsverfahren
Auch, aber nicht nur.
8) In Mediationen gibt es keine ex parte Kommunikation
Falsch: Die Parteien sind frei in der Ausgestaltung ihres Mediationsverfahrens.
9) Der Mediator unterbreitet einen Lösungsvorschlag
Ausgeschlossen ist es auf Wunsch der Parteien nicht, dass Lösungsvorschläge unterbreitet werden. In der Regel befähigt der Mediator die Parteien jedoch, die Lösung selbst zu finden.
10) Das «Recht» gehört nicht in die Mediation
Das Recht ist ein stetiger Begleiter in der Mediation. Dennoch gibt es in der Mediation auch Platz für andere Kriterien wie die Wünsche und Bedürfnisse der Parteien.
[1] BGE 142 III 296 E. 2.3.1: «Sous l'influence des milieux économiques et juridiques américains et anglais, des méthodes alternatives de règlement des litiges (Alternative Dispute Resolution ou ADR) ont rencontré un très vif succès en Europe et plus particulièrement en Suisse au cours de ces dernières années. La conciliation et la médiation constituent de telles méthodes». [2] Daniel Girsberger / James T. Peter, Aussergerichtliche Konfliktlösung, Zürich/Basel/Genf 2019, S. 22. [3] Elke Müller, Arbeitsbündnis und Themenentwicklung in der Mediation, Konstanz 2017, S. 15; Ueli Vogel-Etienne / Annegret Lautenbach-Koch, Von der Mediation zum Kooperativen Verhandeln, Zürich/Basel/Genf 2020, S. 23; Girsberger / Peter, a.a.O. S. 35 f. [4] Vogel-Etienne / Lautenbach-Koch, a.a.O., S. 24. [5] Müller, a.a.O., S. 18. [6] Vogel-Etienne / Lautenbach-Koch, a.a.O., S. 23; Müller, a.a.O., S. 15; Girsberger / Peter, a.a.O. S. 25 ff. [7] Unter dem Begriff „Mediator“ ist die weibliche Form „Mediatorin“ mitumfasst. [8] Jörg Risse, Wirtschaftsmediation, München 2003, S. 36. [9] Girsberger / Peter, a.a.O. S. 49 ff. [10] Chester L. Karrass, The Negotiating Game, 1994, S. 3. [11] Wolfgang Lubert / Michael Tiggers, Mediation im Beteiligungsgeschäft, in: Venture Capital Magazin, 16. September 2015, abrufbar unter: https://www.vc-magazin.de/blog/2015/09/16/mediation-im-beteiligungsgeschaeft. [12] Risse, a.a.O., S. 5. [13] Vogel-Etienne / Lautenbach-Koch, a.a.O., S. 25. [15] Girsberger / Peter, a.a.O. S. 168. [16] James T. Peter, Der Rechtsanwalt als Parteivertreter in der Mediation, in: Anwaltsrevue 3/2013, S. 103 ff., S. 103. [17] Heiner Krabbe, Hochstrittige Parteien, Juni 2019, S. 6. [18] Krabbe, a.a.O., S. 15 ff. [19] SMD-FSM, Ergebnisse der Umfrage Mediation 2014, November 2014, S. 7, abrufbar unter: https://www.mediation-ch.org/cms3/fileadmin/doc/umfragen/Umfrage_Mediation_2014.pdf. [20] SDM-FSM, Kurzbericht, Ergebnisse der Umfrage Mediation Schweiz 2008, Oktober 2009, S. 2, abrufbar unter: https://www.mediation-ch.org/cms3/fileadmin/doc/umfragen/Umfrage_Mediation_2008.pdf, und SDM-FSM, Ergebnisse der Umfrage Mediation 2014,, a.a.O.: 70 % der Mediationen enden in einer Vereinbarung. [21] Sarah J.K. Rauber / Nicola E. togni, Deal Mediation – Einführung in das Verfahren drittunterstützter Vertragsverhandlungen, in: GesKR 2/2020, S. 282 ff. [22] Girsberger / Peter, a.a.O. S. 156 f. [23] Girsberger / Peter, a.a.O. S. 150. [24] Elke Müller, Lösungen und Vereinbarung, Konstanz 2017, S. 13 f. [25] Müller, a.a.O., S. 13; Vogel-Etienne / Lautenbach-Koch, a.a.O., S. 36. [26] Müller, a.a.O., S. 7. [27] Risse, a.a.O., S. 33. [28] Vgl. auch Müller, a.a.O., S. 8.
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